Gemessen an dem geringen kommerziellen Erfolg der Zeitschrift Die Insel (1899-1902) gelangte der parallel laufende Buchverlag schnell zu voller Entfaltung. Ab Oktober 1901 bestand er unabhängig ( 1), und sein erster Geschäftsführer Rudolf von Poellnitz verwirklichte sein Programm, "kunstmäßig ausgestattete Bücher von wertvollstem Inhalt" zu verlegen (2). Von den 28 Veröffentlichungen der ersten drei Jahre fallen allein zehn auf die Herausgeber und Gründer der Zeitschrift, Heymel, Schröder und Bierbaum. Zu anderen Autoren gehören Heinrich Vogeler, Paul Ernst, Paul Scheerbart, Richard Dehmel, Hermann Bahr, Rilke und Hofmannsthal.
Von Poellnitz, 1865 bei Bremen geboren und damit wie sein Nachfolger Kippenberg ein Landsmann von Heymel und Schröder, stand mit seinen literarischen Interessen den beiden Haupteigentümern nahe, und brachte solide buchtechnische Erfahrungen mit sich (3). Neben zeitgenössischer deutscher Literatur wurden unter seiner Leitung auch zahlreiche moderne Texte aus anderen europäischen Sprachen übersetzt.
Hier ergibt sich die Verbindung zu dem Hauptaspekt dieses Vortrages, nämlich zu Felix Paul Greve. Der wenig bekannte Literat hat bis zu seinem Verschwinden im Juli 1909 unwahrscheinliche Mengen übersetzt, und seine Übertragungen sind oft noch heute im Handel. Im Wettstreit mit Franz Blei, der schon seit Ende 1901 redaktionell an der Insel Zeitschrift mitwirkte, und auch nach deren Pleite von Poellnitz "mit unermüdlich grotesker Hilfe" zu beraten pflegte (so Schröder; 4), übersetzte Greve Werke von Oscar Wilde, Ernest Dowson, Walter Pater, und Robert Browning für den Insel-Verlag, und Autoren wie Flaubert, Gide, Meredith, und H.G. Wells für andere Verlage.
Greve ist von besonderem Interesse, weil seit fast dreißig Jahren als erwiesen gilt, daß er mit dem kanadischen Autor Frederick Philip Grove identisch ist. Dieser hatte immer behauptet, anglo-schwedischer Abstammung zu sein, und eine internationale Erziehung genossen zu haben. Groves Manuskripte befinden sich in den Archiven der University of Manitoba. Der Entdecker der sensationellen Verbindung ist Professor D. O. Spettigue (5), und seine Dokumente gehören ebenfalls zum FPG (Greve/Grove) Archivbestand. Sie sind 1989/90 von mir organisiert und beschrieben worden. In beiden Sammlungen gibt es je drei deutsche Gedichte in Groves Hand, und eines von denen aus der Grove-Sammlung stimmt mit Greve's "Erster Sturm" in der Schaubühne von 1907 überein. Es ist und bleibt einer der besten indirekten Beweise für Groves Identität mit Greve.
Greves Korrespondenz mit dem Insel-Verlag ist eine der Hauptquellen für diesen Vortrag. Professor Spettigue hat sie schon 1972 in der damaligen DDR untersucht, und einige photographische Reproduktionen befinden sich in seiner Sammlung. Allerdings war es schwierig für den kanadischen Gelehrten, sie ohne weitere Deutschkenntnisse voll auszuwerten, und auch sein Kollege an der Queen's Universität, der bekannte Germanist Anthony Riley, konnte nicht verhindern, daß sich einige schwere Fehler in Spettigues Buch FPG: The European Years (Ottawa: Oberon, 1973) eingeschlichen haben. Weitere wichtige Quellen sind Hofmannsthals Verlagskorrespondenz und natürlich die umfassenden Arbeiten des Verlagshistorikers Heinz Sarkowski.
Greves Insel-Korrespondenz beginnt im August 1902, endet im September 1909 mit einem Brief an seine vermeintliche "Witwe". Trotz dieser kurzen Zeitspanne wird darin ein wichtiger Anteil des Übersetzungs-Programms aus der Frühzeit des Verlages beleuchtet. Die etwa 75 Briefe und Telegramme auf etwa 200 Seiten befinden sich im Besitz des Goethe- und Schiller Archivs in Weimar, und Photokopien davon sind seit Oktober 1990 auch in meinen Händen. Ettliche Kopien und Notizen zu diesem Bestand und eine getipptes englisches Übersetzungsfragment - das allerdings mit Vorsicht zu genießen ist - gibt es auch im Spettigue-Archiv in Winnipeg.
Zurück zur Verlagsgeschichte: von Poellnitz mit seiner Vorliebe für modernste Literatur stirbt knapp vierzigjährig (und zufällig an Greves sechsundzwanzigsten Geburtstag) am 14. Februar 1905 (6). Das Programm beläuft sich zu dieser Zeit auf etwa 120 Titel, und obwohl der Verlag finanziell gut dazustehen scheint, erweist sich zum Schrecken aller Beteiligten, daß er in Wirklichkeit konkursreif ist. Wie sich herausstellt, hat von Poellnitz in den letzten zwei Jahren seiner Tätigkeit 120.000 Mark veruntreut. Das ist eine ungeheure Summe zu dieser Zeit, und man nimmt an, daß er das Opfer erpresserischer Drohungen war (7).
Anton Kippenberg übernimmt nach einem kurzen, gemeinsamen Zwischenspiel mit dem Drucker Poeschel ab September 1906 allein die Leitung (8), und prägt dem Verlag schnell die Merkmale seines Geschmacks auf. Sein geschäftlicher Spürsinn und seine "amerikanischen Methoden" (9) werden zwar allgemein anerkannt und auch oft genug von anderen Verlagsunternehmen beneidet. Sein literarisches Kunstverständnis dagegen gilt im Vergleich mit dem seinem Vorgänger als begrenzt und konservativ.
In einem seiner ersten Briefe an Hofmannsthal beschreibt Kippenberg seine Vorstellungen von dem künftigen Insel-Programm: der Weltliteratur im Goethischen Sinne gelte es zu dienen. Aus der zeitgenössischen Literatur solle man nur wenig, und "dafür nach Möglichkeit das Dauer Versprechende" auswählen. Buchkunst und Buchluxus seien zu pflegen, denn dem Inhalt des Buches müsse man die Form anpassen. Allerdings dürfe man nie vergessen, daß der Verlag trotz einer gewissen Kulturmission letzen Endes ein Geschäft sei (10) .
Kippenberg hatte 1901 mit einer Arbeit zur Faust-Sage in Leipzig promoviert (11), und war zeitlebens ein begeisterter Goethe-Anhänger. Neben zahlreichen Klassikerausgaben, darunter 1908 der Volks-Goethe in sechs Bänden, bringt Kippenberg dann auch seinem Programm gemäß in den folgenden Jahren Auswahl- oder Gesamtausgaben heraus, wie zum Beispiel Die Erzählungen aus den tausendundein Nächten (12 Bände, 1907-8), Balzacs Menschliche Komödie (14 Bände, 1908-11), Cervantes Novellen und Don Quichote (1907-8), Lesages Gil Blas (1908) und Dickens David Copperfield (1910). Alle sind entweder zum großen Teil oder sogar ausschließlich von Greve übersetzt worden, und dazu kommen unter anderem noch die Erzählungen Tausend und ein Tag (4 Bände, 1909-10?), Die Briefe des Junius (1909), und, allerdings bei anderen Verlegern, Oscar Wildes Werke und Swifts Prosaschriften (4 Bände, 1909-10) (12) .
Trotz Heymels unermüdlichen Ermahnungen an Kippenberg, neben dem "lawinenartig anschwellenden historischen Verlagszweig" (13) auch gute Kontakte zu den jüngsten Dichtern zu pflegen, blieb Samuel Fischer das maßgebliche Haus für diese Richtung. Großzügige Vorschußleistungen und langjährige Verträge sicherten ihm Autoren der zeitgenössischen deutschen und europäischen Moderne. Selbst Hofmannsthal erkannte ihn als seinen hauptsächlichen Verleger an, während er der Insel lediglich "alles dem Lyrischen Verwandte" überließ (14) . Außer Carossa und Rilke (seit 1905), an dem Kippenberg laut Heymel mit wahrer Backfisch-Liebe hing (15), verlegte niemand ausschließlich bei der Insel. Dafür war der Verlag führend in der deutschen Buchgestaltung, und kam dem bewunderten englischen Vorbild der Morris-Presse an künstlerischer Ausstattung am nächsten.
Greves Korrespondenz mit Rudolf von Poellnitz beginnt im August 1902 und endet im Dezember 1903. Für die Zeit von 1904-1906 fehlt bis jetzt jeder Verlagsbriefwechsel mit Greve. Für diese Jahre wird die 1985 erschienene Korrespondenz zwischen Hofmannsthal und Kippenberg Licht auf einige der großen Übersetzungsprojekte werfen können. Zwischen 1907 und 1909 gibt es dann zwar nur drei, dafür um so bedeutendere Briefe an und von Kippenberg aus den Weimarer Beständen (16).
In seinem ersten Brief an von Poellnitz im August 1902 (17) beruft Greve sich auf seinen "Freund Karl Wolfskehl", und bietet eine Übersetzung von Dowsons Dilemmas an. Er erwähnt, er habe bereits "die Hauptwerke Oscar Wildes" und ähnliches für den Bruns-Verlag in Minden übersetzt, und stellt sehr detaillierte Honorar-Forderungen für den Fall, daß sein Angebot angenommen werde. Von Poellnitz stellt schon am nächsten Tag das Erscheinen dieser Übersetzung für Januar 1903 in Aussicht. Sie erscheint dann allerdings erst im Dezember, und zwar mit Illustrationen von Marcus Behmer.
Mit Hinweis auf die neuesten deutschen Veröffentlichungen von Walter Paters Imaginary Portraits (Insel) und Renaissance (Diederichs) versucht Greve nur fünf Tage nach der ersten Kontaktaufnahme (18), von Poellnitz für seine Übertragung Marius, der Epikureer zu interessieren. Mit diesem Vorschlag hat er weniger Glück: nach einiger Zeit sendet von Poellnitz schließlich das Manuskript mit der kühlen Empfehlung, einen anderen Verleger zu finden, zurück (19). Diese Abfuhr hat wenigstens zwei Gründe: zum einen verkaufen sich die schon vorhandenen Pater-Übersetzungen gar nicht gut, und dann gesteht von Poellnitz, daß ihm allerlei Klatsch aus München und Berlin zu Ohren gekommen ist. Besonders geärgert habe er sich über die maßlose Übertreibung bei der Beschreibung eines geschäftlichen Zusammentreffens mit Greve in Leipzig, und über die hochstaplerische Behauptung, die Insel brächte in nächster Zukunft allerlei Arbeiten aus Greves Feder. Außerdem seien ihm wiederholte Vorschußforderungen nach so kurzwähriger Bekanntschaft nicht geheuer gewesen (20).
Greve entschuldigt sein ungewöhnlich langes Schweigen auf diesen Brief mit schlechtem Befinden. Jemand müsse ihm übel wollen. Bei von Poellnitzens Beschwerden handele es sich um ein großes Mißverständnis. Auch anderweitig gingen ebenso ungerechtfertigte Gerüchte über seinen wilden Lebenswandel um (21) .
Etwa zwei Monate später entflieht Greve mit Else, der Frau seines Freundes August Endell, dem bekannten Jugendstil-Architekten nach Italien. Daß sein Lebenswandel in der Tat zu wünschen übrig ließ, bestätigt sich etwa ein halbes Jahr später. Auf dem Rückweg von Palermo, wo er einige Zeit mit "seiner Frau" verbracht hat (22) , wird er Anfang Mai 1903 in Bonn wegen Betruges an einem Studienfreund verhaftet, und etwas später zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Seine Schulden betragen nach eigenen Angaben etwa 30.000 Mark, von denen er wenigstens seinem Freund Herman Kilian, dem Kläger, die mit Selbstmord-Drohungen erpreßten 10.000M abstatten muß (23) .
Den Marius versucht er erfolglos noch mehrfach anzubringen, und nicht nur beim Insel-Verlag, wie er Mitte November 1903 entmutigt zugibt (24) . Die näheren Umstände, warum diese Veröffentlichung doch noch fünf Jahre später unter Kippenberg zustande kam, sind leider unbekannt. Ihr sind dann aber ausgesprochen anerkennende Besprechungen im Litterarischen Echo , den Grenzboten , und der anglistischen Fachzeitschrift Anglia zuteil geworden.
Trotz den offensichtlichen Spannungen zwischen Übersetzer und Verleger gegen Ende 1902 werden noch mehrere gemeinsame Pläne erfolgreich ausgeführt. So erscheint 1903 eine Sammlung von Oscar Wildes Erzählungen unter dem Titel Das Granatapfelhaus mit Heinrich Vogelers Zeichnungen. Sie erlebte seither viele Neuauflagen (25) .
Brownings Tragödie einer Seele und Auf einem Balkon. In einer Gondel befinden sich Mitte 1903 im Druck (26) . Alle drei erscheinen unter dem Pseudonym F. C. Gerden, das Greve aus dem Gefängnis vorschlug (27) . Auch der Paracelsus , den Greve auf von Poellnitz' Anfrage übernommen hatte (28) , gelangt schließlich 1904 zur Ausführung.
Greves persönliche "Katastrophe" und seine Bitte, ihn in seiner Notlage mit möglichst vielen Aufträgen zu unterstützen (29) , hatten offensichtlich Erfolg bei dem Insel-Verlagsleiter. Mehrere Vorschläge, wie zum Beispiel Brownings A Blot in the Scutcheon (30) oder Flaubert's Contes zu verlegen, sowie Anfragen wie "Sollte man nicht einmal Balzac übersetzen", oder Verga, H.G. Wells (31) und Meredith (32) übertragen, fallen scheinbar auf taube Ohren. Nach einigen Jahren kommt aber tatsächlich die große Balzac-Ausgabe unter Kippenbergs Leitung zustande, und viele der übrigen Pläne werden schließlich von anderen Verlagen, wie Bruns zum Beispiel, ausgeführt.
In teils unterwürfigem, teils unverschämtem Ton stellt Greve bald immer höhere Honorarforderungen, und zwar auch für ältere Abmachungen. Die fast manischen Forderungen sind sicherlich durch Greves schwierige finanzielle Situation bedingt, aber verständlicherweise wird von Poellnitz' Briefstil in direktem, und proportionalem Verhältnis zu ihnen fühlbar kälter.
Ausschlaggebende Konflikte mit dem begabten, aber problematischen Übersetzer kommen endlich gegen Ende 1903 zum Ausbruch. Greve versucht mit allerlei Kunstkniffen, die Bühnenrechte für die Browning-Dramen an Fischers neuen Bühnen-Verlag zu vergeben (33) , sowie Abdrucke und Besprechungen der unmittelbar bevorstehenden Dowson- und Wilde-Veröffentlichungen an allen möglichen und unmöglichen Stellen anzubringen (34) , und vereitelt endlich, vielleicht unbeabsichtigt, den von Poellnitz' begehrten Plan der Browning-Barrett Korrespondenz.
Er erwarb zwar für den Insel-Verlag die Rechte an einigen Browning-Barrett-Briefen, die weit wichtigeren Liebesbriefe des Paares gelangten aber in Fischers Hände. Greve entschuldigt sich wieder mit einem Mißverständnis. Er habe bei dieser Übersetzung zuerst an Bruns gedacht, und eine Auswahl nach rein biographischen Gesichtspunkten getroffen. Eine Diskrepanz ergebe sich nun mit von Poellnitz' Absichten nur deshalb, weil dieser ein literarisches Monument im Sinn habe. Natürlich sei er bereit, eine andere Auswahl zu treffen, die den Erwartungen des Verlegers eher entspräche. Allerdings würde das Manuskript sich dann verdoppeln, und nicht unter 2000 M zu haben sein. Außerdem könne er es wegen zahlreicher anderer Verpflichtungen kaum vor Juni 1904 fertigstellen (35) .
In diesem Fall erweist sich von Poellnitz als unversöhnlich. In seinem letzten Brief vom 25.12.1903 spricht er offen seine Erbitterung darüber aus, daß er Greve diese Angelegenheit überlassen habe, und sich nun mit einem empfindlichen Verlust abfinden müsse. Greves Auswahl sei nichts als "zweiter Aufguß", und er wolle diese verwässerte Sammlung jedenfalls nicht verlegen. Er habe aber keinen Zweifel, daß sie bei Fischer gnädig aufgenommen werde. Tatsächlich erscheint sie da auch 1905. Obwohl von Poellnitz erst etwa ein Jahr später stirbt, scheint es, daß der Kontakt zu Greve nun endgültig abgebrochen wurde.
Kippenberg überzeugt Hofmannsthal kurz nach seinem Amtsantritt, die Einleitung zu den Tausendundein Nächten nach der Burton'schen Ausgabe zu übernehmen. Bei dieser Gelegenheit sagt er stolz: "Wir dürfen sagen, daß die deutsche Bearbeitung schlechthin unübertrefflich ist, und daß das äußere Gewand dem Inneren entsprechen wird, dafür leistet wohl unsere Firma Gewähr (36). " Den ersten Probeband findet Hofmannsthal am Ende des Jahres dann auch "ganz reizend" (37) . Anläßlich des vierten Bandes im September 1907 bezieht sich Kippenberg auf eine Kritik in der Neuen Rundschau , die nur die grünen Ledereinbände lobend erwähnt hat, und "dem inneren Wert der Ausgabe und dem Übersetzer so gar nicht gerecht worden ist." Kippenberg besteht darauf, daß Greve "eine sehr anerkennenswerte philologische Arbeit vollbracht" habe, und daß zu Recht "von allen Seiten nur Gutes und Bestes über diese Ausgabe" gesagt werde (38). Auch Hofmannsthal berichtet, daß er überall "nur Freundliches über 1001 Nacht" höre (39) . Die kritische Literatur zu diesem Unternehmen ist beträchtlich. Trotz aller zum Teil berechtigten Einwände war dieser Ausgabe ein ungeheurer und dauerhafter Publikumserfolg beschieden.
Ebenfalls Ende 1907 gibt Hofmannsthal seine Zustimmung, die Einleitung zur geplanten Balzac-Ausgabe zu liefern. Harry Graf Kessler und er waren auch maßgeblich an der Auswahl und Anordnung der 14 Bände beteiligt (40) . Die Übersetzungsarbeit teilten sich Heinrich Mann, René Schickele, Greve, Ernst Hardt, und Gisela Etzel. Auch diese erfolgreiche Ausgabe war umstritten und zog lebhafte Kritik auf sich.
Aus den beiden Greve-Briefen an Kippenberg geht deutlich hervor, daß der Übersetzer auch noch in diesen Jahren unter großem finanziellen und seelischen Druck steht. Im April 1907 reagiert Greve beleidigt auf Kippenbergs Besorgnis, daß er sich zuviel aufbürde. Nachdem er seine Arbeit an den Tausendundeinen Nächten , an Lesages Gil Blas (1908), und an Cervantes Novellen erwähnt und dabei eingehend sein übersetzerisches Vorgehen beschreibt, erlaubt er sich einige persönliche Bemerkungen. Sein ungeheurer Arbeitsaufwand sei durch seine Schulden motiviert, die er sich teils selbst anzulasten habe, die teils aber noch aus seiner Jugend stammten. Er mußte nämlich schon vom sechzehnten Lebensjahr an für seine Mutter sorgen, und diese Belastung allein betrüge noch über 4000 M im Jahr. Trotz seiner relativ hohen Einkünfte bliebe ihm nach diesen und anderen Verpflichtungen so gut wie nichts übrig, so daß er und seine Frau des öfteren dem Hunger preisgegeben seien. Er arbeite am besten im Bewußtsein einer gewissen Sicherheit. Und da er auf Kosten anderer Kontakte in letzter Zeit sich fast ausschließlich dem Insel-Verlag anvertraut habe, würde er, wenn möglich, gern auch noch den Don Quichote übernehmen. Beide Cervantes Werke und der Gil Blas erschienen 1907 und 1908 unter dem Pseudonym Konrad Thorer (41) .
Im Mai 1908 beklagt sich Greve bitter über ungerechtfertigte Korrektur-Vorschläge an dem zweiten der Balzac-Bände. Nur eine einzige von rund dreißig Anmerkungungen will er als wirkliche Verbesserung anerkennen. In diesem Brief gibt es auch einen Hinweis auf "die Pater-Korrekturen", die das Zustandekommen der zweibändigen Ausgabe zu dieser Zeit bestätigen (42) .
Am interessantesten ist bestimmt Kippenbergs geradezu meisterhafte Antwort auf einen offensichtlich hysterischen und/oder unverschämten Brief der vermeintlichen "Witwe" Greves im September 1909. Elegant weist er die übertriebenen Anschuldigungen, Greves angeblichen Selbstmord durch Unterbezahlung, Überbelastung, und kleinliche Kritik maßgeblich verschuldet zu haben, weit von sich. Zum ersten Punkt verweist er darauf, daß er ihm "von dem nicht gerade erfreulichen und zur Fortsetzung reizenden Anfang unserer Verbindung an stets das allerdenkbarste Entgegenkommen gezeigt" habe. Dafür und für die zahlreichen, großzügigen Vorschußleistungen gäbe es reichlich Beweise. Greves Kredit bei der Insel betrüge beispielsweise 4000 M. Anbetrachts dieser Tatsache sagt er: "Wenn Ihr Gatte in seinem letzten Briefe dies Gefühl der Dankbarkeit, das er mir wiederholt ausgedrückt, ins Gegenteil verkehrt hat, so muß ich das einem unnormalen geistigen Zustande zuschreiben, der ihn die Dinge verzerrt hat sehen und ungerecht werden lassen."
Die anderen beiden Punkte bringt er miteinander in Verbindung. Die ernsten Bedenken an Greves Arbeitsqualität stünden in direktem Verhältnis zu dem Übermaß an Aufträgen, die er sich selbst alter Schulden wegen aufzuladen bemühte. Als anschauliche Beispiele für minderwertige Übersetzungen, die er allerdings keineswegs als Greves durchschnittliche Leistung betrachten will, erwähnt er die ersten beiden Bände von 1001 Nacht und Murgers Boheme , bei denen in der zweiten Auflage "gegenüber der ersten kein Stein auf dem anderen geblieben" sei. Sollte Greve wirklich Selbstmord begangen haben -- und Kippenbergs Zweifel daran ist offensichtlich, -- wäre der Insel Verlag jedenfalls kaum verantwortlich dafür; weitaus plausibler wäre wohl "die Tatsache seines wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Ich weiß, daß wir nicht der einzige Verleger sind, der große Forderungen an ihn hatte; die Einsicht, daß er sie niemals durch Arbeit würde begleichen können, wird das eigentliche Motiv seines Entschlusses gewesen sein, und die Tatsache, daß er in der jüngsten Zeit diesselbe Arbeit zwei Verlegern gegeben und sich von beiden hat honorieren lassen, vielleicht dazu beigetragen haben." Ein Mitarbeiter werde bald verschiedenes Verlagseigentum bei Frau Greve abholen, darunter: "das fertige Manuskript von 1001 Tag , Bd. 3 und 4; die Druckvorlage zur Jugendausgabe von 1001 Nacht , und das Manuskript der Übertragung von Dickens David Copperfield ."
Nach der großzügigen Versicherung, daß er keinerlei Ansprüche auf den Nachlaß ihres Mannes erheben werde, und sogar bereit sei, ihn von allen weiteren Verpflichtungen zu entlasten, falls er noch leben sollte, verbleibt Kippenberg mit der Aussicht, auch der Witwe behilflich zu sein. Den Ton ihres Briefes wolle er damit entschuldigen, daß die "begreifliche Erregung, in der Sie sich befinden, Sie in Ihrem Gefühl für die Tragweite Ihrer Worte gehindert hat" (43) .
Greve tauchte drei Jahre später als Frederick Philip Grove in Manitoba auf, wo er bis 1929 als Lehrer sein Leben fristete und ab 1922 etwa die Hälfte seiner zahlreichen kanadischen Werke veröffentlichte. Else Greve, die ihm 1910 nach Sparta, Kentucky, gefolgt war und dort von ihm nach einem Jahr sitzengelassen wurde, ist ab 1917 als Baroness Freytag-Loringhoven durch ihr exzentrisches Gebaren, ihre dadaistische Kunst und Kontakte mit internationalen Persönlichkeiten wie William Carlos Williams, Man Ray, Marcel Duchamp, Berenice Abbott, Djuna Barnes und vielen anderen in New York, Berlin und Paris bekannt geworden.
Greves Arbeit für den Insel-Verlag belegt einerseits den unterschiedlichen Geschmack und Geschäftsstil der beiden Leiter von Poellnitz und Kippenberg, und reflektiert andererseits den Zeitgeschmack. Was den Verkaufserfolg seiner Übersetzungen bei der Insel anbelangt, läßt sich ersehen, daß die Dekadenzliteratur der ersten fünf Jahre gering war, abgesehen von Oscar Wildes Erzählungen . Die Auflagen von nur 500 Exemplaren fanden weder ein begeistertes Publikum, noch wurden sie eingehend rezensiert.
Die Rezeption von Greves Übersetzungen in fünfzehn literarischen Zeitschriften zeigt, daß die Übertragung von Weltliteratur dankbar aufgenommen wurde, während man sich modernen Autoren bestenfalls zurückhaltend, schlimmstenfalls feindlich-ablehnend verhielt. Ausfälle gegen Übersetzer und die gesamte Übersetzungsindustrie waren häufig, und nationalistische Töne bei weitem keine Ausnahme. Schon 1904 hatte von Poellnitz sich folgendermaßen verteidigen müssen: "...Man macht mir von allen Seiten den Vorwurf, die Insel bringe zu viele Übersetzungen, und ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf nicht" (44). Kippenbergs konservative Ausrichtung auf Weltliteratur war also in jeder Hinsicht erfolgreicher, und ähnliches gilt auch für die deutsche Literaturproduktion des Verlags. Die Entdeckung zeitgenössischer Autoren war riskanter und - wenigstens kurzfristig gesehen - geschäftlich weniger ergiebig als die großen Auflagen der klassischen Literatur. Fußnoten zu Aspeke der Verlagspolitik : 1. Gerard Schuster, Einleitung zu Hugo von Hofmannsthal, Briefwechsel mit dem Insel-Verlag, 1902-1929 , Frankfurt, Buchhändler-Vereinigung, 1987, S. 18 2. Almanach der Insel für 1900 , S. 20 3. Schuster, Sp.18 4. R. A. Schröder, "Die Insel", 1925. In: Aufsätze und Reden 2, S. 921 5. D.O.Spettigue, FPG : The European Years , Ottawa, 1973. 6. Schuster, Sp. 31 7. Schuster, Sp. 33 8. Schuster, Sp. 39 9. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 116, 15. 7. 1910 10. Kippenberg, 1. 12. 1906 11. Schuster, Sp. 35 12. Diese Aufstellung nach eigenem Greve-Material; weniger ausführlich aus der Inselverlags-Perspektive bei Schuster, Sp. 43 13. Heymel an Kippenberg, 6.11.1909; bei Schuster, Sp. 50, Fn.122 14. Hofmannsthal, 18. 5. 1906 15. Heymel an Hofmannsthal; bei Schuster, Sp. 51, Fn.123 16. Diese vereinzelten Briefe befinden sich im Marbacher Literatur-Archiv, und in der Deutschen Staatsbibliothek, Berlin. 17. Greve, 12. 8. 1902. Auch in: The Letters of Frederick Philip Grove , hrsg. von D. Pacey, Toronto,1976, S. 516. Das falsche Datum dort ist der 2. 8. 1902! 18. Greve, 17. 8.1902 19. von Poellnitz, 4. 11. 1902 20. von Poellnitz in einem langen persönlichen Brief vom 12.11.1902 21. Greve, 19. 11. 1902 22. So Greve an von Poellnitz am 18.2.1903 23. General-Anzeiger für Bonn , 30. 5. 1903, Nr. 4761, p. 7 24. Greve, 16. 11. 1903; Pacey, S. 535 25. Sarkowski, Insel-Bibliographie, 1971 26. von Poellnitz, 11. 6. 1903 27. Greve, 6. 6. 1903; Pacey, S. 526 28. von Poellnitz, 9. 5. 1903 29. Greve, 6. 6. 1903 30. Greve, 6. 5. 1903 31. Greve, 14. 6. 1903; Pacey, S. 528 32. Greve, 3. 8. 1903 33. Greve, 26. 10. 1903; Pacey, S. 531 34. Greve, 16. 11. 1903; Pacey, S. 535 35. Greve, 3. 12. 1903 36. Kippenberg, 4. 10. 1906 37. Hofmannsthal, 28.11.1906 38. Kippenberg, 6.9.1907 39. Hofmannsthal, 14.12.1907 40. Kippenberg, 8. 1. 1908 41. Greve, 15. 4. 1907; Pacey, S. 541-543 42. Greve, 3. 5. 1907; Pacey, S. 545-546 43. Kippenberg an Else Greve, 21. 9. 1909; Pacey, S. 548-550 44. von Poellnitz, 21. 12. 1907, ablehnend an Baronin Rothenthal, die, von Blei empfohlen, unter anderem Meredith' Egoisten übersetzen wollte. Originally presented at the 1990 German Studies Associaion (GSA) Conference in Buffalo, N.Y. Divay, Gaby. "Aspekte der Verlagspolitik des Insel-Verlages, 1900-1910.". rev. e-Ed., ©November 2005 <http://gaby-divay-webarchives.ca/psg/insel.html> Accessed ddmmmyyyy [browser preview: 8 p.]) |